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Berliner Zeitung, 19.20.9.15

Ohne klares Konzept

Befragung an Ganztagsschulen offenbart mangelnde Teamarbeit von Lehrern und Erziehern. Eltern wünschen mehr Information - und Kinder wollen saubere Toiletten

VON MARTIN KLESMANN

Das Leben der Berliner Grundschüler ist heute ein deutlich anderes als noch zur Jahrtausendwende. Damals besuchte nur eine Minderheit der Schüler den Hort bis 16 Uhr, heute sind es über zwei Drittel aller Kinder. Das hat vor allem damit zu tun, dass vor zehn Jahren die offene Ganztagsgrundschule eingeführt wurde, im Westteil der Stadt wurden erst damals die Horte auch räumlich in die Grundschulen integriert.

Eine aktuelle Umfrage zur Zufriedenheit mit dem Angebot an Ganztagsgrundschulen zeigt nun ein zwiespältiges Bild. 66 Prozent der befragten Grundschulkinder und Pädagogen meinen, dass die Schüler sich in Schule und Hort wohlfühlen. Von den Eltern sind sogar 75 Prozent dieser Meinung. Dabei kritisieren fast die Hälfte der befragten Grundschulkinder die unsauberen Toiletten sowie Hektik beim Mittagsessen. Rund 1 000 Kinder, Pädagogen und Eltern mussten für die Umfrage des Paritätischen und des Dachverbandes der Kinder- und Schülerläden (Daks) detaillierte Fragebögen ausfüllen.

Allerdings zeigt sich an den Antworten auch, dass es oft an einem klaren Ganztagskonzept mangelt. Die Hälfte der befragten Lehrer und Erzieher selbst wünschen mehr Teamtreffen, um besser gemeinsam arbeiten zu können. Immerhin 43 Prozent der Pädagogen ist mit der Qualität der Ganztagsbetreuung nicht zufrieden. Oft sehe es so aus, als würden Lehrer vormittags unterrichten - und Erzieher dann nach dem Mittagessen einfach ohne größere Absprachen übernehmen.

"Es ist sehr bedauerlich, dass das vor fünf Jahren beschlossene Bildungsprogramm für die offene Ganztagsschule bisher nicht verbindlich ist", monierte Elvira Kriebel, Schulexpertin des Paritätischen bei der Präsentation der Befragung. Ganztagsgrundschulen blieben dadurch eine Art "Black Box", viele Eltern wüssten nicht, was dort tatsächlich stattfindet. In dem Bildungsprogramm sind zum Beispiel ein kindgerechter Wechsel von An- und Entspannung, Möglichkeiten zur eigenen Raumgestaltung, Rollenspiele und Schulaufgaben als Selbstständigkeitsförderung vorgesehen. Tatsächlich wünschen sich viele der befragten Eltern mehr Gesprächsmöglichkeiten mit Lehrern oder Erziehern. "Es fehlt zudem an Räumlichkeiten und an gemeinsamer Fort- und Weiterbildung", monierte auch Katrin Möller, Familienpolitikerin der Linke-Fraktion. Lehrer und Erzieher dazu zu bringen, auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten, sei oft schwierig. "Es sind zwei verschiedene Berufe mit unterschiedlichem Gehalt." Erschwerend kommt hinzu, dass viele Lehrer und Erzieher in Teilzeit arbeiten, und dadurch Absprachen immer wieder neu getroffen und Hortkinder sich immer wieder auf neue Bezugspersonen einzustellen haben.

Auch über andere Arbeitszeitmodelle für Lehrer müsse nachgedacht werden, damit sie auch an Nachmittagen präsenter sind, brachte etwa Daniela von Treuenfels von der Stiftung Bildung ins Gespräch. GEW-Chefin Doreen Siebernik betonte, dass viele Pädagogen nicht zuletzt wegen des permanenten Lärms und dem alltäglichen Gewusel auf engstem Raum gesundheitlich angegriffen seien oder reduziert hätten.

Von zusätzlichen Stellen für die Ganztagsschulen wollte indes Jörg Ramseger, Grundschulpädagoge an der Freien Universität, nichts wissen. Lehrer müssten sich jenseits ihrer Unterrichtsverpflichtung auch stärker in der Ganztagsgestaltung engagieren. Eine weitere zentrale Forderung von Paritätischem und Daks ist, dass Grundschüler wenigstens drei Quadratmeter zur Verfügung haben, um selbst etwas zu gestalten. Ohne dass dieser Raum vormittags für Unterricht genutzt wird.